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AutorenbildStav Szir

Ein krankes Fest

Bild (Jan Pulfer)


Weihnachten kommt bald, klingt wie eine Drohung.

Noch bevor ich die Augen aufschlage, ahne ich Schlimmes. Im Hals steckt ein Kaktus und durch die Nase kommt keine Luft, dafür ein leises Grunzen. Meine Gedanken kriechen langsam an den schmerzenden Gelenken entlang und verfangen sich in verklebten Wimpern. An diesem Donnerstagmorgen werde ich meinen Wecker einige Male hauen müssen, bis ich mir nichts mehr vormachen kann: eine jener Grippen, die zurzeit durch die Schlagzeilen geistern, hat mich voll erwischt. 


Es ist die zweite Adventswoche, in der ich mich mühsam in die Küche schleppe, um nach einer verschrumpelten, angegrauten Ingwerknolle zwischen Zwiebeln und Knoblauch zu kramen. 

Auch der zweite Test ist negativ. Dafür ist es draußen bereits wieder dunkel geworden. Halb vier Uhr Nachmittags. Berlin, Schöneberg. 


Bald wird es vorbei sein, denke ich mir, während ich mit heisser Tasse unter die Decke krieche und den Laptop aufklappe. Bald kommt Weihnachten und ich habe mir so einiges vorgenommen: Eine neue Wohnung finden, am Buch weiterschreiben, den digitalen Stapel Uni-Texte abarbeiten. Netflix langweilt mich schon auf der Startseite - ich bleibe an Insta-Reels hängen – sprechende Pinguine jagen liebkosenden Affen nach. 


Irgendwie habe ich verpasst, dass eine ganze Woche durch mich verflossen ist. Irgendwie liege ich wieder mit Bildschirm und Tee im Bett. Leere Schalen, haferflockenverklebt und Berge an verschnodderten Taschentüchern säumen die Matratze. Bei jedem Aufrichten huste ich mich aus. Mittlerweile trage ich einen rauschenden Vollbart.  


Am zehnten Tag laufe ich in die nächste Apotheke und hole mir Aspirin Complex. Believing is Magic sagt die rote Werbung an der Ampel. Weihnachten kommt bald, so magisch wie brauner Auswurf. Ich google Auswurf: Husten mit Auswurf wird auch produktiver Husten genannt.

Mindestens ein produktiver Output. 


Die Schlagzeilen rauschen an mir vorbei. Keine freien Betten für Kinder im Krankenhaus, Todesurteile im Iran, rechte Terroristen im Parlament, Kanye West findet Hitler gut, draußen -10 Grad. Wieso genau will ich eigentlich wieder gesund werden?


Tag elf: Ich habe alle Videos von @openlygayanimals durchgeschaut. 


Die Symptome sind abgeflacht, meine Lust jemals wieder das Bett zu verlassen aber auch. Kugeln und Tannengrün begegnen mir höchstens in den Werbebannern der graulegalen Streaming Seiten. 

Tag Vierzehn: Nichts habe ich geschafft. Weihnachten kommt bald, klingt wie eine unabwendbare Drohung.


Hier kommen die Zeilen, in denen ich vom Wunder erzählen würde. Von dem einen Satz, den ich gelesen habe, von dem einen Song, den ich gehört habe, von dem einen Lächeln, das mir eine unbekannte Person geschenkt hat: Von dem Wunder, das mich erlöst, geheilt, zur Besinnung gebracht hat.

Es gibt kein Wunder, nur die leise Ahnung, dass es Weihnachten nicht gibt. Keinen Grund, Geschenke zu verpacken, keinen Grund, Karten zu schreiben, keinen Grund, sich aufzuraffen und ein Lied auf dem Klavier für die Familienfeier einzuüben. 


Es gibt mich auf einer vollgeschwitzten Matratze, ein ich, dass sich nicht wieder erkennt. Was sollte bald kommen? Ich weiß es nicht mehr. Nichts werde ich vorbereiten. Nichts erreichen und von niemanden erreicht werden. In diese Gedanken hinein, öffnet sich eine unbekannte Ahnung:

Die Ahnung, dass Weihnachten nicht das Produkt einer Kirche, einer Werbung, eines Termins ist, sondern einzig meine Entscheidung. Wenn ich zu denen dazugehöre, die durch diese Tage an jenes Fest gelangen, muss ich mich erinnern: Das Heilige an Weihnachten, ist einzig dieser Raum, in dem ein Wunder sich ahnen kann. Wie sollte ich anders an das Fest der Liebe gelangen, als mit leeren Händen? 


Tag siebzehn. Im Café läuft sanftes Jazzpiano, während ich diese Worte abtippe. Ich weiss noch nicht, ob ich an sie glauben, ob ich mich an sie halten kann. Aber ich weiss, dass es einen unscheinbaren Ort in mir gibt, der für mich gestern noch unvorstellbar war. Ein Ort, in dem Weihnachten werden könnte. 


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