Der enge Aufzug knattert an diesem heissen Julitag die Etagen hoch und kommt erst im vierten Stockwerk langsam zum Stehen. Nachdem die schwere Lifttür aufgedrückt ist, geht am Ende des Ganges eine weitere auf. Hinter dem Türspalt steht Hanna Walter, die mir den Weg durch den in die Jahre gekommenen Hausflur weist. Lässt man diesen hinter sich, befindet man sich sogleich in ihrem Refugium.
Im Gegensatz zur belebten Strasse vor der Haustür fühlt sich dieser Ort nach einer Ruheoase an. Genau dies wolle sie auch erreichen, meint Hanna. Sie brauche einen Safespace, einen sicheren Hafen, um ihre Batterien aufzuladen. „Draussen ist es meist sehr anstrengend, hier drinnen in der Wohnung kann ich ich sein und Energie tanken.“
Die Fenster sind weit geöffnet, ein frischer Wind bringt die Pflanzenblätter in regelmässigen Abständen zum Schaukeln. Diese stechen hervor, sind sie doch der einzige Farbtupfer im sonst monochrom gehaltenen Interieur. Um ein möglichst ruhiges Umfeld zu kreieren hat Hanna sämtliche Farben aus ihrer Wohnung verbannt. „Ich hasse Farben“, betont sie. Diese würden sie nervös machen.
Auch die vielen natürlichen Materialien beruhigen die Sinne. Der Blick schweift von geflochtenem Bast zu grossen Häkelmustern bis zu weichen Leinenstoffen. Die Hand gleitet automatisch über die haptisch ansprechenden Flächen.
So verwundert es auch nicht, dass die Wohnung insgesamt minimalistisch gestaltet und stets aufgeräumt ist.
Das war nicht immer so. Noch vor ein paar Jahren war sie sich ihrem Konsumverhalten nicht so bewusst wie heute. Viel zu viele Kleider, teilweise noch mit Etikett, stauten sich in ihren fünf Schränken, wovon heute nur noch ein einziger übrig ist. „Ich habe immer Sachen gekauft, ohne diese zu konsumieren.“
Auch Bücher haben sich bis unter die Decke gestapelt, die ebenfalls allesamt ungelesen blieben. Um diesen Stapel langsam aber sicher verschwinden zu lassen, hat sie sich nun ein persönliches Projekt für das Jahr 2020 vorgenommen: So viele Bücher wie möglich in einem Jahr zu lesen. Mittlerweile sind bereits 80 Exemplare aus ihrem Repertoire verschwunden und ein paar wenige warten schön arrangiert auf einem Stuhl darauf ebenfalls noch gelesen zu werden.
Neue Bücher kauft sie nicht mehr physisch, was der E-Reader auf dem Nachttisch erahnen lässt. Nur besonders hochwertige Ausgaben und Bände hat sie als Dekoobjekte im Schlafzimmer aufeinander gestapelt. Auch hier fällt auf: Kein einziger farbiger Umschlag ist zu sehen. Passt ein Buch nicht ins farbneutrale Schema, wird es mit den weissen Seiten nach vorne gekehrt oder in einem Bastkorb verstaut.
Sie habe mittlerweile keinen einzigen Fehlkauf mehr, weder im Schrank noch sonst irgendwo in der Wohnung. Von einem konkreten Gegenstand träumt sie nicht. „Vielmehr möchte ich Dinge loswerden. Mein Ziel ist, so viel weisse Wand wie möglich, damit ich spontan und flexibel umstellen kann“, bemerkt Hanna. Am liebsten hätte sie einen leeren Raum, der sich ständig neu gestalten lässt.
Inspiration sucht sie vor allem auf Instagram, wo sie ihren Stil auch selbst in ästhetischen Bildern dokumentiert. Vor allem ein Lieblingsstück sticht dort ins Auge. Seit einigen Monaten liest Hanna ihre Truecrime-Bücher nämlich auf einem weissen Togo Sofa. Dies sei „ihr einziges Designerding“, welches sie an ihre Kindheit erinnere, da bereits ihre Grosseltern ein entsprechendes Modell im Wohnzimmer stehen hatten.
Späht man durch die offene Flügeltür, fügt sich das Sofa beinahe nahtlos in das helle Schlafzimmer ein und man stellt sich gerne vor, wie darauf Seite für Seite umgeblättert wird.
"Refugium von:" ist eine Beitragsserie von Claire Flury, welche sich dem Basler Wohnraum widmet und dessen Bewohner*innen portraitiert.
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