Illustration: Florence Dreier
Sonntagabend. Völlig fertig schleppe ich meinen müden Körper die letzten Treppenstufen zu meiner Wohnung hoch. Im Schlepptau den kleinen Handgepäck-Koffer, den ich mir von einer Freundin für diese Woche ausleihen durfte. Knapp sieben Stunden mit dem Zug habe ich hinter mir – die gleiche Zeit, die es mich kostet, um in die Schweiz zu fahren. Doch dieses Mal kam ich aus einer anderen Richtung: Ich war für meine freie Woche bei einer guten Freundin in Prag. Zum ersten Mal seit meinem Wegzug habe ich mich dazu entschlossen, während meinen freien Tagen nicht in die Schweiz zu fahren.
Es war tatsächlich eine sehr bewusste Entscheidung, die ich letzte Weihnachten fiel. In der Schweiz zu sein, bedeutet zwar viel Schönes: Ich kann bei meiner Familie sein, Zeit mit meiner Nichte verbringen und dazu noch meine alten Freund*innen treffen, die ich so selten sehe. Aber genau diese schönen Sachen bedeuten auch viel Arbeit. Jeder Tag in der Schweiz ist genauestens durchgetaktet, damit ich so viele Menschen wie möglich treffen kann. Denn wenn ich jemanden nicht treffe, habe ich ein schlechtes Gewissen. Eigentlich müsste ich immer mindestens einen Monat da sein, um alles zu schaffen. Da das für mich aber unmachbar ist, bin ich bisher so oft wie möglich heimgefahren, um meine Leute zu sehen. Jedes Mal bräuchte ich eigentlich anschliessend eine Woche Urlaub, um mich vom Stress zu erholen.
Abgesehen davon, dass ich eine Fernbeziehung führe, habe ich auch andere Long-Distance Freundschaften, die ich pflegen will und die vernachlässigt wurden, da ich jede freie Woche in der Schweiz verbrachte. Zum Beispiel diese Freundin in Prag: Wir kennen uns aus unserem Performance Kollektiv finsterbusch collective und haben uns seit unserem letzten Projekt nicht mehr gesehen. Seit kurzem lebt sie wieder in Prag und da es eine direkte Zugverbindung von Hamburg aus gibt, beschloss ich sie zu besuchen. Es war genau das Richtige. Gutes Essen, schöne Gespräche, ins Museum gehen, durch eine schöne Stadt spazieren und Theater schauen – einfach richtige Ferien.
Weshalb ich mich bisher in jeder freien Woche in die Schweiz gezwängt habe, ist simpel: Einerseits fühlte ich mich verpflichtet dazu, weil ich nicht verstanden habe, dass man Beziehungen auch über Distanz pflegen kann. Andererseits ist es schön, von Menschen umgeben zu sein, die einen länger als anderthalb Jahre kennen. Meine Freund*innen in der Schweiz kennen mich auf einem anderen Level als meine Leute hier in Hamburg und das ist ein schönes Gefühl. Sie kennen den Entstehungsprozess hinter der Person, die ich jetzt bin und vieles bedarf keiner Erklärung. Das ist etwas, das ich in den letzten zwei Jahren sehr schätzen gelernt habe. Trotzdem war mein bisheriges Besuchsverhalten nicht nachhaltig.
Freie Wochen sind zum Erholen da, nicht um völlig fertig wiederzukommen und weiterzuarbeiten. Besonders bei meinem intensiven Studium braucht man erholsame Auszeiten.
Zusätzlich werden keine Freundschaften gepflegt, wenn man die Verabredungen als To Dos empfindet, die man abarbeitet, damit man sich nicht schlecht fühlt. Ich will mich voll auf meine Leute konzentrieren können, ohne immer an das nächste Treffen in ein paar Stunden denken zu müssen.
Deshalb mache ich jetzt lieber weniger Besuche in der Schweiz, weniger Treffen, aber wenn man sich sieht, dann richtig. Freundschaften kann man auch anders als durch physische Treffen pflegen: Telefonate, Facetime und sich Memes zu schicken sind alles Möglichkeiten, in Kontakt zu bleiben.
Ich fahre jetzt einfach dann nach Hause, wenn ich das Bedürfnis und die Zeit dazu habe – nicht weil ich mich verpflichtet fühle. Dann kann ich mir auch wieder richtig Zeit für jede einzelne Person nehmen, ohne gestresst zu sein. Ansonsten werde ich so richtigen Rumhänge-Urlaub ausserhalb Deutschlands oder der Schweiz machen – wenn es mein Portemonnaie zulässt. Natürlich bin ich auch immer froh, Besuch zu empfangen. Hamburg ist echt eine Reise wert. Also liebe Freund*innen und Familie – kommt einfach mal bei mir vorbei. Ich würde mich freuen. <3
Bisous und bis bald,
Juno
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