Ich sitze im Gästezimmer meiner Eltern unweit von Basel. Es ist mein erster Besuch in der Schweiz seit ich vor etwas mehr als drei Monaten aus Basel weggezogen bin. Jegliche anderen Besuchs-Pläne wurden von Corona zunichte gemacht. Jetzt bin ich aber wieder da. Es ist der Vormittag vom 31. Dezember 2020. Meine Instagram Timeline ist voll mit Rückblicken auf das Jahr, “fuck 2020”-Memes und Witzen, dass um 00:00 Uhr der Kalender nicht auf 2021 umgestellt wird, sondern dass das ganze 2020-Drama wieder von vorne anfängt.
Ich bin generell nicht eine Person, die ihr Jahr nochmals Revue passieren lässt, zurückschaut und sich dann aus dem Erlebten Vorsätze für das neue Jahr macht. Im Generellen bin ich mehr der Typ “been there, done that, next”. Das hat vor allem den Grund, dass mir vieles, besonders in diesem Jahr, Schmerzen bereitet, wenn ich daran zurückdenke. Es ist nunmal so, dass 2020 (mal ganz abgesehen von Corona) das wohl schlimmste aber gleichzeitig auch ereignisreichste Jahr meines bisherigen Lebens war.
Jetzt sitze ich also hier am 31. Dezember und werde diesen Moment doch nutzen, um das letzte Jahr nochmals anzuschauen. Meine Kolumnen waren eine der einzigen Konstanten in diesem Jahr für mich. Sie sind wie (sehr öffentliche) Tagebucheinträge, die mich nachvollziehen lassen, in welchem Monat ich was erlebt habe und wie es mir ging.
Anfang Jahr habe ich darüber geschrieben, wie ich im Herbst 2019 angefangen habe mich aktiv mit meinen Depressionen und Angststörungen in einer Therapie auseinanderzusetzen. Worüber ich nicht geschrieben habe war, dass ich einen enormen Rückschlag hatte, denn diesen Frühling und Sommer haben sie überhand über mein Leben genommen. Erst jetzt mit etwas Abstand kann ich anfangen diese Zeit zu verarbeiten, weil es mir jetzt besser geht. Was mir diese Zeit verdeutlicht hat, ist dass ich mich wahrscheinlich während meines gesamten Lebens immer wieder damit beschäftigen werden muss. Ich habe diese Veranlagung, sie wird (wahrscheinlich) nicht einfach so verschwinden, aber ich kann lernen besser mit ihr zu leben.
Trotzdem versuche ich 2020 nicht schlecht zu machen. Schliesslich war es auch das Jahr, in dem ich angefangen habe regelmässig zu schreiben und zu veröffentlichen, was ein riesiger Schritt für mich war (an dieser Stelle: Happy Birthday ans Viral. Magazin. Wir sind jetzt schon ein ganzes Jahr alt). Auch ist es das Jahr, in dem ich mein coming-out hatte, meinen Job gekündigt und meine Wohnung aufgegeben habe und von Basel weg in ein anderes Land gezogen bin. Ich habe eine neue Stadt kennengelernt, eine neue Familie in ihr gefunden und angefangen zu studieren. Nun bin ich zum ersten Mal seit meinem Umzug wieder in Basel, das ich so sehr vermisst habe und jetzt während ich hier bin, vermisse ich mein neues Zuhause. Dieses letzte Jahr war voller Enden und Neuanfängen, dass ich hier gar nicht alle aufzählen kann.
Auf jeden Fall gibt es viel Gutes und auch viel Schlechtes zu verarbeiten, ob ich will oder nicht. Deshalb wird mir auch niemals der altbekannte “new year, new me”-Satz über die Lippen kommen, denn zu diesem Verarbeiten gehört es manchmal dazu, dass wir gewisse Dinge auch erstmal von uns weg schieben und uns nicht damit beschäftigen, bis wir bereit dazu sind. Das bedeutet für mich, dass ich viel Altes mit in dieses neue Jahr nehme, da ich mit einigem noch nicht abgeschlossen habe – weil ich entweder noch mittendrin stecke oder auch einfach, weil ich diese Dinge noch etwas vor mich hin schieben muss. Also auch wenn ich einen klaren Schlussstrich hinter das letzte Jahr ziehen und eine völlig neue Selina erschaffen wollen würde, könnte ich das nicht – und das ist in Ordnung. Ausserdem habe ich keine Lust mein Leben lang an dieses Jahr als “das Jahr, dass mir gestohlen wurde” zurückdenken zu müssen. Darum lasse ich den Übergang vom 20 ins 21 einfach offen. Es ist kein Neustart, sondern ein Weitermachen.
Darum lasse ich es, wie eigentlich jedes Jahr, sein mit den guten Vorsätzen. Ich kann es nur wärmstens weiterempfehlen. Es gibt genug anderes, um das man* sich momentan Sorgen machen muss.
So, genug geschrieben. Ich hoffe, ihr habt alle einen schönen Montag (oder wann auch immer ihr das lest) und dass es euch gutgeht.
Cheers, auf euch!
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