Böse Zungen behaupten, das Kino stirbt aus. Wenn ich mich gerade über so manche 0815-Blockbuster oder Fliessband-Serien echauffiere, könnte diese Aussage sogar von mir kommen. Ich bin aber trotz all dem Zynismus dem Massenmarkt und den Streamingservices gegenüber – und trotz meiner Klassiker-Nostalgie – doch wieder einmal enorm gespannt auf einige angekündigte Titel der Film- und Serienwelt . Ein paar Releases wecken sogar kribbelnde Vorfreude in mir. Ich lade euch auf eine Reise quer durch die kommenden Releases im restlichen Jahr 2022 ein, stark beeinflusst von meinen persönlichen Vorlieben.
Titel-Illustration von ©Hannah Oehry
Die ganz grossen Vorfreuden
Decision to Leave (Park Chan-Wook)
Der Film läuft zwar bereits in manchen Schweizer Kinos an, dennoch gehört er für mich auf diese Liste, da er zu meinen grössten Vorfreuden gehört. Der Release ist an den meisten, mir anfangs auch, wahrscheinlich aber vorbeigegangen. In Basel wird der Film beispielsweise von keinem einzigen Kino gezeigt.
Wie so oft sagt für mich der Mensch hinter der Kamera und hinter der Vision bereits schon alles. Park Chan-Wook, der mit Oldboy einst ein verstörendes Meisterwerk geschaffen hat, das meinen Blick auf Filme massgeblich beeinflussen konnte, wird 2022 seinen neuen Film präsentieren.
Durch seine Vengeance Trilogie - also Sympathy for Mr. Vengeance, Oldboy und Lady Vengeance - erlangte der Südkoreaner grosse Aufmerksamkeit in der Filmwelt. Bereits 2013 schuf er sein Hollywood-Debüt Stoker mit amerikanischen Darsteller*innen: Ein fabelhaft inszenierter, dichter und verkünstelter Thriller der Meisterklasse. Schnell kehrte er jedoch mit The Handmaiden zur koreanischen Produktion zurück. Auch wenn dieser Film mit seinen fast schon parodistisch perversen Thematiken und komplex konstruierten Erzählungssträngen für mich etwas übers Ziel hinausschoss, war er doch handwerklich von Meisterhand umgesetzt worden und beinhaltete wunderschöne Momente.
Als ich den Trailer zu Decision to Leave vor ein paar Wochen zum ersten Mal sah, war ich direkt Feuer und Flamme. Nicht nur ist das Bisschen Geschichte, was verraten wird, enorm faszinierend und mysteriös, der Film wirkt auch nuanciert und kompakt im Vergleich zum Vorgänger. Und Park Chan-Wook weiss immer etwas Interessantes auf meist noch interessantere Weise zu erzählen. Die Kameraarbeit im Trailer sieht ausserdem zum Niederknien schön aus. Meine persönlich grösste Kino-Vorfreude 2022. Trotz des angekündigten Schweiz-Release am 6. Juli 2022 konnte ich nur Vorstellungen in der französischsprachigen Schweiz zu dem Film finden. Ich werde jedenfalls nicht aufgeben, eine passende Vorstellung zu finden.
Nope (Jordan Peele)
Ich gehe hier bereits einmal vorsichtig darauf ein, dass 2022 eine Menge Filme mit interessanten bis verstörend abgefuckten Thematiken von bekannten Filmemacher*innen erscheinen werden. I couldn't be happier.
Jordan Peele ist zurück. Nachdem er mit Get Out einen modernen Kultfilm erschaffen hat, welcher Rassismus in einem Horror-Mystery-Thriller verarbeitet hat, konnte ihn die (Film)Welt nicht vergessen. Über seinen zweiten Horrorfilm Us kann Mensch streiten, inszenatorisch war er jedenfalls brillant und sprudelte vor grandiosen Ideen. Ich empfand ihn auch als etwas unausgegoren und konstruiert. Allerdings hatte ich trotzdem viel Freude im Kino.
In jedem Fall ist der Trailer zu seinem neuen Film Nope einer der besten Trailer, die ich seit langem gesehen habe: Wenig ist verständlich, viele Fragen tauchen auf, audiovisuelle Faszination stösst auf ein wenig Angst. Ich habe keine Ahnung, was wirklich auf mich zukommt, aber bin unfassbar gespannt. Der Film wird am 10. August in den Schweizer Kinos anlaufen.
Killers of the Flower Moon (Martin Scorsese)
Der Name Martin Scorsese dürfte auch Nicht-Filmgeeks bereits bekannt sein. Und was soll ich sagen? Er hat einen neuen Film mit Leonardo DiCaprio und Robert DeNiro gedreht.
Da es noch keinen Trailer gibt, kläre ich euch kurz über den Inhalt des gross produzierten Period Piece, welches in den 1920er Jahren spielt, auf.
Dieser basiert auf dem gleichnamigen Buch von David Grann und handelt vom mysteriösen Mord an Mitgliedern des Osage-Stammes in den vereinigten Staaten, was zu einer grossen FBI-Untersuchung führt. Auch der Gründer J. Edgar Hoover beteiligte sich direkt an den Ermittlungen. Martin Scorsese hat mich während seiner langen und beeindruckenden Karriere noch nie enttäuscht und ist ein Meister seines Fachs. Der Film soll nach bisherigen Infos im November 2022 im deutschsprachigen Raum erscheinen. Ein Release auf Apple TV ist ebenfalls wahrscheinlich, da sich neben Paramount Pictures auch Apple die Verleihrechte an dem Film angeeignet hat.
Blonde (Andrew Dominik)
Ein Biopic über Marilyn Monroe mit Hollywood Darling Ana de Armas in der Hauptrolle? Also Johannes, was findest Du jetzt daran so unsäglich faszinierend? Ich möchte direkt fairerweise dazu sagen: Ana de Armas ist eine fantastische Schauspielerin und nicht jedes ausgeschmückte Hollywood-Biopic über unvergessene Celebrities muss reinen Kommerz bedeuten. Aber hier erstmal der Trailer:
Mir wurde sofort klar, dass es sich hier höchstwahrscheinlich nicht bloss um ein redundantes Nacherzählen altbekannter Geschichten vermischt mit dramatischer Aufbereitung handeln wird. Ich sehe ein intimes Charakterdrama, das sich nicht scheut, ohne Wertung in die Schattenseiten einer Biografie und einer Seele zu blicken. Und ich könnte mir niemanden besseres vorstellen, so etwas umzusetzen als Andrew Dominik und Ana de Armas. Nicht nur ist De Armas eine brillante Besetzung für die Rolle der Marilyn Monroe und kann endlich mit der dramatischen Bandbreite arbeiten, die sie verdient hat. Auch Andrew Dominik, der mit seinem 2007 erschienenen und psychologisch sowie emotional einnehmenden Westerndrama mit dem seltsamen aber absolut treffenden Titel The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford in meinen Augen eines der grossen Werke der 2000er Jahre geschaffen hat, scheint mir die perfekte Wahl für (adaptiertes) Drehbuch und Regie.
Dies ist aber nun wirklich ein Film, den ich auf der grossen Leinwand sehen möchte, daher bin ich etwas sauer, wenn ich «only on Netflix» lese, obwohl ich nicht umhinkomme, mich auf den Release am 23. September zu freuen.
Glass Onion: A Knives Out Mystery (Rian Johnson)
Knives Out hat für mich 2019 das Krimi-, oder genauer, das Whodunit-Genre für die moderne Leinwand revolutioniert. Rian Johnson schuf einen intellektuellen Kommentar auf das gesamte Genre, gepaart mit spritzigem Humor, einem geradezu absurd populären Cast und fantastischer Inszenierung, welche alte Einflüsse und moderne Rasanz gleichsam bezirzt. Und nun wird Detektiv Benoit Blanc (Daniel Craig) in einer Fortsetzung, abermals «written and directed by» Rian Johnson, eher nicht auf die Leinwand, aber nun viel mehr auf die Fernseher und Bildschirme zurückkehren.
Mehr als diesen Titel-Teaser gibt es leider noch nicht zu sehen, mehr möchte ich aber auch gar nicht dazu sagen. Der Film erscheint voraussichtlich im Winter («this holiday season») auf Netflix und ich freue mich darauf, mit einem Funken Hoffnung, dass der Film auch in ein paar Kinos laufen wird.
Mit Spannung erwartet
Men (Alex Garland)
Alex Garland durfte bereits mit seinen grandiosen Arthouse-Scifi-Filmen Ex Machina und Annihilation, die ich beide kühlstens empfehlen kann, szenenweise seine Liebe für das Horrorkino anteasern. Nun geht er mit Men scheinbar in die Vollen mit einem spooky Horror-Kammerspiel aus meiner Filmproduktionsschmiede des Vertrauens A24:
Ich mag die Idee, Feminismus durch Horror, in diesem Falle mit der Angst vor dem Mann, zu vermitteln. Ähnlich hat es Edgar Wright bereits teilweise in Last Night in Soho umgesetzt. So mutete mir zumindest der wunderbar undurchsichtige Trailer an, indem eine Frau von einem Mann, der immer wieder in verschiedenen Rollen auftritt, verfolgt wird. Auch genretypische religiöse Metaphern in Form des Apfelbaums und Themen wie Sünde liessen sich bereits erahnen. Mich hat der Trailer zwar noch nicht völlig aus den Socken gehauen, doch alles scheint zu stimmen und ich bin sehr gespannt wie auch ein wenig eingeschüchtert, was uns erwartet. Der Film läuft seit gestern bereits in den Schweizer Kinos. Auch im Basler Kultkino.
White Noise (Noah Baumbach)
Noch wenig ist bekannt zu diesem Film, von einem Trailer ganz zu schweigen.
Nur soviel: Noah Baumbach durfte mit den Mumblecore-Filmen zu Beginn seiner Karriere und mit weiteren Werken Werken im Verlauf seiner Karriere bis heute sein Talent für emotional realistisches Storytelling unter Beweis stellen. Mit naturalistischen Dialogen und beeindruckenden Schauspielleistungen konnte er immer wieder die Herzen vieler Zuschauer*innen erobern. Auf seinen neuen Film bin ich sehr gespannt, da mich Marriage Story zuletzt im positiven Sinne beinahe sprachlos zurückgelassen hat.
Viel mehr, als dass White Noise ein Familiendrama ist, welches auch existenzielle Fragen behandeln wird, wissen wir nicht. Ich freue mich auf jeden Film von Noah Baumbach. White Noise soll noch dieses Jahr erscheinen.
*untersteht der CC BY 2.0 Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/
Crimes of the Future (David Cronenberg)
Den neuen Film des Bodyhorror-Altmeisters David Cronenberg (The Fly, eXistenZ) wollte ich keinesfalls auf dieser Liste auslassen, obschon ich mich extrem vor dem Streifen fürchte. Selbst der Trailer ist für schwache Gemüter mit Vorsicht zu geniessen.
Düstere Zukunftsideen und Bilder der Ekelhaftigkeit stossen auf Fragen nach dem Selbst und dem Körper. Vielleicht finde ich ja eine Begleitung, mit der ich dieses Erlebnis psychologisch überlebe und danach noch darüber philosophieren kann. Dazu sollen Cronenbergs Filme schliesslich wärmstens einladen. Crimes of the Future soll ab Dezember 2022 im deutschsprachigen Kinoraum zu sehen sein.
Don't Worry Darling
Sich langsam anbahnende Dystopie der Seltsamkeit in bunt-fröhlich anmutenden Alltagsbildern, die talentierte Florence Pugh in der Besetzung, Olivia Wilde auf dem Regiestuhl. Das ist schon mal eine tolle Mixtur. Der Trailer überzeugt mich auch:
Don't Worry Darling wird am 22.09. in den schweizer Kinos anlaufen und scheint genau mein Fall zu sein.
Avatar: The Way of the Water (James Cameron)
Pocahontas in blau geht in die zweite Runde? Man kann von dem technisch revolutionären Hollywood-Blockbuster halten, was man will. Mit etwas Distanz betrachtet halte ich das Drehbuch sogar für einfallslos. Trotzdem kann James Cameron einfach Welten erschaffen und ein visuell atmosphärisches Spektakel der Extraklasse ist mit Avatar: The Way of the Water abzusehen, das zwar vielleicht nicht die kreativsten Inhalte vermitteln (wer weiss), aber die Grenzen zwischen Animations- und Realfilm abermals herausfordern wird:
Ihr werdet mich wahrscheinlich ab dem 14. Dezember im Verkehrshaus in Luzern vor der Leinwand antreffen können, da ich stark vermute, dass der Film dort im IMAX-Filmtheater gezeigt werden wird.
So mein Einblick in die kommenden Releases. Freut ihr auch auf diese Filme? Habe ich etwas vergessen? Wir sehen uns im Kino.
Comments