Es ist eine Woche her, letzten Sonntag, als ich mit einer Freundin unter blauem Himmel in eine mir unbekannte Richtung lief, angezogen von einem komischen oder kosmischen blinden Fleck auf der Strassenkarte.
Der gewohnte Anblick der Fassaden, die ich von Neukölln kannte, tauschte ihre Erscheinungen mit einer geschlossenen, grauen und verlassenen Stadt ein. Wir unterquerten eine Autobahnbrücke – alsbald fühlte ich mich weit ausserhalb vom urbanen Berlin. Wir waren keine zehn Minuten Fussmarsch von meinem vertrauten Neukölln entfernt, auf der Suche nach dem Ort, den ich auf der Karte gefunden habe. Ich hatte den kuriosen Fleck auf „Google Maps“ Luftperspektive entdeckt und hatte weder eine Vorstellung davon, was uns erwarten würde, noch wie das Ding in Wirklichkeit aussah.
Wir trafen zuerst auf einen Park. Hier blieb mir vor allem eine Person in Erinnerung: Ein Mann, der im Gras lag und zwei weisse Papageien auf seiner Schulter hausen liess. Durch eine Zaunöffnung betraten wir das Gelände. Der Boden war mit Glasscherben bedeckt, die unter jedem Schritt knirschten. Wir durchstöberten ahnungslos das Scherbenland und stiessen auf die verbrannten Überreste einer Ruine: Es war ein Mix aus Gewächshaus und Holzpavillon mit orientalisch angehauchten Verzierungen. Da wir unwissend waren und uns weder Name noch der Nutzen des Ortes bekannt war, liefen wir ratend durch die Trümmer, trafen zerbrochene Türrahmen an, durchquerten brandschwarze Zimmer mit Garten- oder Stadtblick und bassin-artigen Strukturen.
Ein kurzer historischer Exkurs:
Das „Blub Badeparadies“ wurde 1985 im Berliner Bezirk Neukölln eingeweiht. Wegen sinkenden Besucherzahlen und mangelnder Hygiene wurde dieses 2002 geschlossen. Es waren Mietwohnungen auf dem Areal geplant, diese wurden jedoch nie umgesetzt. Der erste Brand fand im Jahr 2013 statt. 2015 gab es mehrere weitere Brände. Wegen Problemen mit den Hydranten waren die Schäden frappant. Der Brand, welcher dem Gelände und der Architektur sein heutiges Bilde gibt, vollzog sich 2016. Der Grund wird noch ermittelt.
Jeder Schritt im Gelände schien unsicher: hält das noch? Ein Inferno mit abstrusem Charme. Nichts war gesichert, kein Schild warnte vor Einbruchgefahr – wir stiegen halb entstellte Treppen hoch, lugten über Betonplatten in drei Metern Höhe ohne auch nur ein Warnhinweis anzutreffen und erkundeten frei die mysteriöse Geschichte des Ortes.
Die Farben und Formen der Glasscherben waren so unterschiedlich wie die Räume selbst. Die ganze Ruinenarchitektur war um- und verwachsen von Natur, eingewachsen wie in einem etwas dunklen Dornröschenschlaf. Grün trifft auf Glas und eine grosse Menge an verkohltem Holz, Deckenkonstruktion, Isolation und Nägeln.
Die Neugier war entflammt und so recherchierte ich zuhause in der Hoffnung, mehr über den Blinden Fleck auf der Karte Berlins zu erfahren. Dabei stiess ich auf einen Artikel (2018.07.20/der Tagesspiegel), dem ich folgendes entnahm: Polizei warnt vor Betreten des Geländes. Der Grund seien Sicherheitsbedenken bezüglich der Stabilität der Ruine, so wie erhöhte Gefahr von Raub, Gewalt und sexuellem Missbrauch.
Ein wunderschöner Tag in Berlin.
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