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AutorenbildLeonne Voegelin

Post aus Berlin - Eine kleine Danksagung an die Nacht


In Berlin ist die Nacht wie der Tag. Und die Berliner Nächte haben ihre Eigenheiten. Sie verführen mit viel Charme. Das kann man an so manchen Orten in den verschiedensten Facetten erfahren.




Viele schwören auf den Sommer in Berlin und bejubeln seine Vorzüge - doch je länger die Tage und kürzer die Nächte werden, ahne ich, dass der Winter mir fehlen wird. Wie oft habe ich mich über die teils wochenlange Sonnen- und Lichtlosigkeit beschwert und die zähen Wolkenschichten verklagt. Trotzdem, wenn es kalt und dunkel ist, erfährt man hier immer noch viel von der Unversöhnlichkeit des kontinentalen Klimas und erlebt, wie sich für einige Zeit die Dunkelheit wie ein schwerer Mantel über die Stadt legt, aber nie zwischen die Häuser dringt. Dies wird verloren gehen.


In diesen Wintertagen, die teils bereits um 15.00 Uhr eindunkeln, besteht das Leben des Tages in den Strassen fort. In den Strassen schaffen Lichtfassadenspiele in zufälliger Regelmässigkeit die Dämmerung bei Laune zu halten. Lange, gerade Wege sind von einem Lichtspiel der ganz persönlichen Art gesäumt. Die Lichtquellen entspringend aus warmen Wohnungen, einem Büro oder einem Lokal. Strassenlaternen existieren zwar, sind aber kaum nennenswert, denn wenn man den blinden Seiten der Häuser folgt, läuft man im Dunklen. Dabei erweist sich die Dunkelheit als graue Eminenz, die jede Umgebung spannend werden lässt, dir überallhin folgt und jedes deiner Geräusche schluckt.


Am Freitag gewinnt diese Nachtambiance eine andere Bedeutung: Freitags erwacht die Nacht der schillernden Berliner Clubszene. Eine lange Nacht, die drei Tage anhält und sich bis zum Morgengrauen des Montags hinzieht, ohne zwischen Tag und Nacht zu unterscheiden. Alles verschwimmt zu einem Streifen aus flirrenden Aktionen und Bässen, welche sich vage mit der dunklen Aussenwelt abwechselt. So erlebt man die verschiedenen Wirkungen von Dunkelheit: Die eine donnert dir energiegeladen entgegen, die andere legt sich sanft auf dich nieder.

 

Es gibt einen Ort in Berlin, an dem man die beruhigende Wirkung der Dunkelheit besonders gut wahrnimmt. Von hier aus kann man zusehen, wie sich die Nacht auf die Stadt legt (1). Es ist eine Öffnung, die einen Blick in die Leere gewährt, mitten in der Stadt. Sie befindet sich hinter dem letzten Häuserblock des Schillerkiez, einer Oase inmitten von Neukölln. Ein mächtiges Tor bewacht diesen Ort und offenbart am Ende dieser langen Gerade einen Blick auf … ein weites Nichts : der Tempelhof, ein riesiges, windiges Areal.


In dieser dynamischen Achse der absurden Konstellation von Aufprallen zwischen Ruine, Stadt, Grün und dem Nichts befindet sich eine Bank - so unscheinbar wie wunderbar.

Zu deinen Füssen breitet sich die theatralische Kulisse des Quartiers aus. Aus der leicht erhobenen Position erblickt man die im dunkeln liegenden Strassen und ihre Lichtpunkte. Wir sitzen im Theater in der ersten Reihe und sind Beobachter von etwas Grösserem. Das tiefe Blau des Himmel umschliesst alle Konturen der Stadt und lässt sie schweben. Die Nacht scheint erhoben und unerreichbar.


Eine laute Stille umgibt das helle Dunkel. Es sind Paradoxe, die diese Stimmung am besten einfangen und beschreiben, Rhapsodien auf den Alltag. Die Stille stimmt ein Konzert aus dumpfem Verkehrsrauschen, raschelnden Ästen und dem Pfeifen des Windes ein. Der Knall von Feuerwerkskörpern und weit entfernen Musik fügt sich in die musikalische Landschaft ein. Man vernimmt den regelmässigen Takt der vorbei rasselnden S-Bahn und hin und wieder das surren einiger Dynamos von pflichtbewussten Fahrradfahrer. Plötzlich ein crescendo eines aufheulenden Autos. Es ist ein dezentes Musikstück aus dem Alltag, der Grundton der Stadt: das Stadtgeflüster.


Es ist der berlinerischste Charakterzug der Stadt: Das laute Schweigen und ihre langsame Offenbarung ihrer Geheimnisse, denn diese liegen nicht offen vor dir.




(1) Anita-Berber-Park

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