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AutorenbildJuno Peter

Rasieren oder Nichtrasieren, das ist hier die Frage.


Illustration: Pia Zibulski


Die Sonne strahlt, die Terrasse in meinem Lieblings-Café ist dauervoll und die Anzahl an Menschen pro Quadratmeter im Rhein ist so hoch, dass sie definitiv nicht den Corona-Schutzmassnahmen entspricht. Dies kann nur eines bedeuten: Der Sommer ist in Basel angekommen. Welch frohe Botschaft! Ich liebe das sommerliche Basel. Endlich kann man wieder nächtelang mit Freunden am Rhein sitzen, ohne sich wie eine Zwiebel in zehn Schichten einpacken zu müssen. Auch wenn ich eher ein Herbst-Mensch bin, der gerne lange Klamotten trägt, geniesse ich die paar Monate im Jahr, in denen kurze Hosen, luftige Blusen und dünne Kleider an der Tagesordnung stehen. Jedoch ist dieses Jahr etwas anders, als in den Jahren zuvor: Ich fühle mich in kurzen, beziehungsweise in weniger Kleidung nicht mehr so wohl wie früher. Das ist eine Entwicklung, die ich schon länger beobachte. Je älter ich werde, desto weniger gerne trage ich Kleidung, die meinen Körper für andere sichtbar macht. Liegt das daran, dass ich mich in meinem Körper unwohl fühle?


Das kann ich ganz klar verneinen. Eher ist es so, dass ich mich endlich wieder wohl in meiner Haut fühle. Es hat definitiv mit dem Älterwerden zu tun. Es nicht so, dass ich das Gefühl habe, nicht mehr so gut auszusehen wie als Teenager – eher im Gegenteil. Jedoch fallen mir die Blicke und die Kommentare mehr auf, die eine junge Frau in kurzer Kleidung zugeworfen kriegt, als sie mir als Teenager aufgefallen sind. Obwohl, vielleicht ist das eine falsche Aussage. Diese Art Blicke sind mir schon früher aufgefallen, jedoch hielt ich sie damals für ein Kompliment und für etwas, mit dem ich leben muss. Mittlerweile empfinde ich sie jedoch als störend.


Ein offensichtlicher Grund für die Blicke sind meine Tattoos. Meine Mutter sagt dazu: «Wenn ich dich nicht kennen würde, würd ich dich auch anstarren.» Ein unangenehmer Nebeneffekt ist jedoch: Die Blicke, die auf die Tattoos geworfen werden, bleiben nicht nur an diesen Stellen haften. Die Augen wandern über den ganzen Körper, der durch die kurze Sommerkleidung freigelegt ist. Ich spüre regelrecht, wie ich von oben bis unten gemustert werde. Von den Armen zu meinen Beinen, über meinen von Aknenarben gezeichneten Rücken bis hin zu den Dehnungsstreifen an der Hüfte und all den anderen Teilen an meinem Körper, welche offensichtlich unperfekt sind.


Auch kommt jedes Jahr mit dem Sommer auch wieder die Frage auf: Rasiere ich mir die Beine oder nicht? Muss ich meinen Körper enthaaren? Langsam ist klar, dass eine Frau* so behaart sein darf, wie sie will, solange sie sich wohl fühlt. Let it grow my sisters or shave it off! Handhabt es so, wie ihr euch wohl fühlt, ich supporte euch dabei. Was einem jedoch bewusst sein muss ist, dass wenn sich gegen den Rasierer entschieden wird, egal an welcher Stelle, man definitiv mit Blicken von anderen rechnen muss. Es ist nun mal immer noch so, dass viele die Einstellung «auch Frauen* dürfen Haare haben» nicht vertreten. Ich kenne es von mir selbst und von Freundinnen: Obwohl es uns scheissegal ist, ob wir Haare an den Beinen haben und Rasieren echt unangenehm und anstrengend ist, rasieren wir uns trotzdem, weil es noch viel unangenehmer ist, in der Öffentlichkeit angestarrt oder kommentiert zu werden. An manchen Tagen kann man über diesen Kommentaren und Blicken stehen; das erfordert jedoch Selbstbewusstsein und Kraft. Doch diese Kraft fehlt an anderen Tagen, weshalb man sich immer wieder dem sozialen Druck beugt und doch wieder zum Rasierer greift- einfach, um heute mal nicht aufzufallen.


Manche argumentieren jetzt vielleicht: «Wenn ihr euch in diesen Situationen rasiert, dann habt ihr euch doch selbst dazu entschieden. Wo liegt denn das Problem?». Klar, zwar ist es unsere Entscheidung, dass wir zum Rasierer greifen, jedoch entsteht diese aus dem Druck heraus, dass wir nicht unangenehm auffallen wollen. Let’s face it: Es ist trotz allem noch immer ein Statement, als Frau* unrasiert zu sein.


Obwohl ich gelernt habe, die unperfekten Teile meines Körpers zu akzeptieren, meine Körperbehaarung als natürlich anzuerkennen und sie zu lieben, gibt es trotzdem Tage, an denen ich sie nicht zeigen möchte. An diesen Tagen würde ich am liebsten mit einer riesigen Kartonkiste rumlaufen, aus welcher nur mein Kopf herausschaut und gross «Fuck off» drauf steht. Das sind die Tage, an denen ich meinen Körper nur für mich alleine haben will, an denen ich nicht will, dass jemand anderes ihn sehen und beurteilen kann. Aber da es im Sommer einfach zu heiss für eine riesige Kartonkiste ist und die vor Blicken schützende, lange Kleidung ebenfalls nicht ohne einen Hitzeschlag zu bekommen tragbar ist, bleibt mir nichts anderes übrig, als mit der «Fuck off»-Attitüde im Kopf herumzulaufen oder einfach zu Hause zu bleiben. Zu Hause bleiben ist bei dem schönen Wetter aber auch echt nicht leicht.


Worauf ich mit dem Ganzen eigentlich hinaus will: Ein riesiges Dankeschön geht raus an alle Frauen*, die sich jeden Tag aktiv oder passiv gegen die Gesellschaftsnormen stellen und so langsam, Schritt für Schritt, behaarte Frauen zum Alltag machen. Je mehr man uns auf der Strasse sieht, desto akzeptierter wird die weibliche Behaarung in unserer Gesellschaft und irgendwann, in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft, werden wir uns diese Frage des «Rasieren oder Nichtrasieren» auch an kraftlosen oder unsicheren Tagen nicht mehr stellen müssen.


Ich erhebe mein Glas und trink auf euch!


Zum Wohl!






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