GIF: Pia Zibulski
Die letzten Monate verbrachte ich viel Zeit im Zug. Die Deutsche Bahn hat sich bereits ein kleines Vermögen an mir verdient und auch jetzt während ich schreibe, sitze ich wieder mal im ICE 73 von Hamburg Hauptbahnhof nach Basel Badischer Bahnhof. Mit Noise- Cancelling-Kopfhörern über den Ohren und genügend Lesestoff sind die langen Zugfahrten jedoch schnell überstanden.
Durch die vielen Fahrten in den letzten zehn Monaten hatte ich das Vergnügen diverse Arten von Zugfahrenden kennen und hassen zu lernen.
Besonders negativ auffallend sind wohl Personen um die fünfzig, die das Gefühl haben etwas besseres zu sein, nur, weil sie schon länger leben als die Menschen um sie herum. Eine Begegnung mit einer solchen Person kann einem die gesammte Reise madig machen.
Diese Leute sind meist enorm unhöflich, benehmen sich unmöglich und machen die Reise für alle um sie herum zur Hölle. Nehmen wir meine heutige Mitfahrerin zum Beispiel. Shoutout an dieser Stelle an sie: Während ich das hier schreibe, linst sie in meinen Laptopbildschirm und liest mit. Ja genau, du bist eine dieser Personen, um die es hier geht.
Nehmen wir sie also als Beispiel: Ich, schlafend, bereits fünf Stunden unterwegs. Meine jetzige Sitznachbarin, geschätzt Ende fünfzig, steigt zusammen mit sehr vielen anderen hinzu. Plötzlich wache ich auf, weil eine Person an mir rüttelt, meine Kopfhörer antippt und mich anschreit. Was für ein Erwachen. Ich ziehe die Kopfhörer ab und nehme meinen Rucksack vom Sitz neben mir, während sie mir und den Leuten um uns herum einen Vortrag darüber hält, wie schrecklich und egoistisch die heutige Jugend doch sei und dass wir gefälligst Platz für sie und ihre Freund*innen machen sollten. Sie hat natürlich nicht gegendert.
Sie setzt sich neben mich, nach Salami stinkend, weitermeckernd, mich volllabernd.
Das Letzte, was ich hörte bevor ich meine Kopfhörer wieder aufsetzte und die Geräuschunterdrückung anknipste, war: “Kein Respekt vor dem Alter”.
Wie rasend mich solche Aussagen machen! Ich will hier keinen Ageismus betreiben, denn besonders bei Frauen ist ageism etwas, das tief in unserer Gesellschaft verankert ist und viele Probleme mit sich führt. Zum Beispiel erhöhte Armut im Alter bei Frauen und fehlende staatliche Unterstützung – Frauen die keine Kinder mehr bekommen können geraten in Vergessenheit. Ageism gibt es aber auch gegenüber jungen Menschen und genau das passiert in solchen Situationen. Das Alter einer Person sagt nichts darüber aus, wie viel Respekt man* vor ihr haben sollte. Nur weil deine Eltern früher gevögelt haben als meine, heisst das noch lange nicht, dass du mehr Ahnung von der Welt oder vom Leben hast. Erst recht nicht, wenn du ein unhöfliches Arschloch bist, das dazu noch rassistische und ausländerfeindliche Vibes ausstrahlt. Du bist die letzte Person, die meinen Respekt verdient hat. Dein Alter hat da nicht die geringsten Einfluss darauf.
Wenn du andere respektlos behandelst, hast du im Gegenzug nichts anderes verdient. Egal wie viele Jährchen du auf dem Buckel hast – wenn du ein Arschloch zu anderen bist, kannst du nicht erwarten, dass andere gut zu dir sind.
Personen, die Respekt verdienen, sind Personen, die anderen mit Respekt begegnen. Menschen, die einen höflichen Umgang mit ihrem Umfeld und Mitreisenden pflegen und nicht egomanisch durch die Welt stapfen. Einfach Menschen, die decent sind! So schwer ist es echt nicht. Diese Eigenschaften sind vom Alter unabhängig. Vielleicht solltest du, liebe Sitznachbarin, dich vielleicht mal fragen, warum die Leute dir gegenüber keinen Respekt zeigen. Eine solche unfreundliche Person wie dich habe ich lange nicht mehr erlebt.
Jedoch bin ich keine Person, die Feuer mit Feuer bekämpft. Anstatt sie ebenfalls anzuschnauzen, schreibe ich jetzt diesen Text um mich abzureagieren. Zusätzlich breche ich wohl eine der wichtigsten Regeln des Zugfahrens: Musik nie so laut stellen, dass sie durch die
Kopfhörer durchschallt und es die Mitfahrenden stört. Du neben mir hast jedoch nichts anderes als 100 Prozent Lautstärke verdient. Die genervten Blicke und die sichtbaren Seufzer ihrerseits waren das anschliessende Ohrenrauschen wert.
Trink mal ein Wässerchen und reagier dich ab. Und probier’s das nächste Mal mit höflicheren Worten – so ersparst du dir und allen an
deren die schlechte Laune.
Wohl bekommts.
Illustration: Pia Zibulski
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