Leute wuseln zwischen farblich sortierten Kleiderständern umher, ziehen einzelne Kleiderbügel hervor und verschwinden regelmässig hinter den Raumtrennern. Ein dumpfer Beat zieht sich durch die Industriehalle. Zufriedene Gesichter stehen am Ausgang Schlange, um ihren Errungenschaften ein neues Zuhause zu geben.
In einer Ecke sitzt Désirée und näht einen blauen Anzug um; hinter dem Tresen sucht Michelle leere Kleiderbügel zusammen. Was wie eine konfuse Illusion klingt, ist in Wahrheit der Pop-Up Laden von Corner 36 in Basel.
Dahinter stecken die beiden Freundinnen Désirée und Michelle. Die modeaffinen Baslerinnen gründeten den Instagram-Secondhand-Shop vor ziemlich genau einem Jahr. (Happy Birthday an dieser Stelle!) Als Mode- und Textildesignerinnen sind beide bestens mit Stoffen und Schnitten vertraut.
Auch die Diskussion rund um das Thema Nachhaltigkeit in der Modewelt ist ihnen alles andere als fern. Sie besitzen keinerlei neue Sachen; weder Kleidung noch Möbel. Beinahe täglich trifft man die beiden deshalb in Brockenstuben an, wo sie teils schweizweit, teils im Ausland nach modischen Schätzen stöbern. Gelagert werden diese schliesslich im Atelier ihrer gemeinsamen Wohnung. Obwohl sie nahezu 24 Stunden am Tag zusammen seien, gäbe es selten Meinungsverschiedenheiten. „Wir kaufen einfach gerne und teilen dasselbe Faible für Mode“, bekundet Michelle.
Sie schätzten es, alten Sachen einen neuen Wert geben zu können. Dies sei zugleich auch die Hauptmotivation hinter Corner 36. Ihre Kund*innen sollen ein Gefühl für die Qualität eines Kleidungsstücks und dessen Herstellungsprozess erhalten, was in der heutigen Zeit der Fast Fashion leider viel zu kurz käme, betonen sie. Daher gibt es auch keine Corner 36-Sales; die kuratierten Stücke werden jedoch stets ohne Marge verkauft. Zudem wird jedes Teil gereinigt und wenn nötig auch geflickt. Den Schuhen nimmt sich manchmal sogar ein Schuhmacher an, damit sie dem ausgewählten Corner-Standart entsprechen.
So versteckt sich weder ein lukratives Geschäftsmodell noch ein Konzept mit ausgeklügelter Marketingstrategie, sondern ausgesprochen viel Herzblut hinter Corner 36. Daher auch der Leitspruch „Shop your Crush“: Jedes Corner-Teil soll ein Herzstück im Kleiderschrank werden. Die persönliche Bindung zu den Stücken ist besonders wichtig. Überzeugt etwas nicht, raten Desiree und Michelle von einem Kauf ab.
Genauso individuell und intim halten sie es auch auf dem Instagramprofil. Alltagsdetails folgen auf Kunst und Outfitposts. Durch den Feed scrollend, verliert man sich schnell in der Abfolge von Spiegelungen, Stillleben und Stoffen. Auffällig: Man begegnet dabei nie dem selben Gesicht. Immer neue Personen posieren vor den unterschiedlichsten Orten in Basel. Diversität liegt den beiden sehr am Herzen. Obwohl niemand über Modelerfahrung verfüge, wirken die Bilder ausserordentlich intim und authentisch.
Das Outfit wird mit den Models gemeinsam ausgesucht, weshalb sich diese vor der Kamera meist wohl fühlten; auch wenn sie Désirée und Michelle nicht gut kennen würden. Dieses besondere Vertrauen zwischen Fotografin und Model spürt man in den Bildern, die übrigens alle mit der Handykamera und innert kurzer Zeit aufgenommen werden. Vom Styling über die Posen bis hin zur Fotografie ist auch hier alles Teamarbeit. Zuweilen nimmt diese auch unkonventionelle Kompositionen an. Bei ihrem ersten Shoot hätten sie „spontan das Hemmli in den Baum gehängt.“ Genau solche Motive machen die Corneräshtetik einzigartig und abwechslungsreich.
Diese scheint vor allem Menschen Mitte zwanzig zu begeistern, erzählt Désirée. Doch genauso unterschiedlich wie ihre Models, die oft selbst zu den Käufer*innen gehören, sind die Kund*innen von Corner 36. Zu Beginn seien es meist Freund*innen der beiden gewesen, die sich mit Corner-Teilen eindeckten. Heute sind es von jung bis alt; von Basel sowie schweizweit unterschiedlichste Personen. Sie verdeutlichen: "Kleidung ist für viele ein heikles Thema." Hier zeigen sich Désirée und Michelle besonders sensibel und auf Augenhöhe. Sie kuratieren für jeden Geschmack und jedes Bedürfnis das passende Outfit.
Beim Betrachten ihres gut besuchten Geburtstags-Pop-up scheint es, als habe sich dieses Feingefühl und Gespür herumgesprochen. Oftmals bliebe der Kontakt ausschliesslich digital. Die Pop-Ups veranstalteten sie, um alle Menschen hinter den Instagramprofilen persönlich kennenzulernen und ihre digitale Äshtetik in den realen Raum zu übertragen. Auch Kollaborationen mit anderen lokalen Künstler*innen sind so möglich. Das persönliche Feedback und der grosse Andrang bestätige die beiden in ihrem Schaffen. Es zeige, dass das Anprobieren und Anfassen vor Ort doch etwas Spezielleres sei als eine Onlinebestellung, was die Besucher*innen schätzten.
Doch bevor ein solches Event überhaupt stattfinden kann, erfordert es zwei bis drei Monate Vorlaufzeit. „Wir benötigen beide Druck“, betonen sie. Dies führt dazu, dass eine Woche vor dem Pop-Up Hochbetrieb herrscht. Freund*innen werden engagiert, Möbel und Requisiten herumgeschleppt und Kleidungsstücke kuratiert. „Ohne Hilfe unseres Umfeldes wäre ein solches Projekt unmöglich. Alleine geht das nicht“, bekräftigen die beiden dankbar.
Nur so entsteht eine jener ästhetischen Welten, wie wir sie vom Corner 36-Instagram kennen und lieben.
Bei all dem Aufwand dürfe jedoch eines nie verloren gehen: Die Freude. Blickt man in die glücklichen Gesichter und spürt man das Herzblut, wenn die beiden über Corner 36 erzählen, ist es jedoch schwer vorstellbar, dass ihnen diese je abhanden kommt.
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