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AutorenbildJuno Peter

Von Coping-Mechanismen und Stressabbau


Illustration: Florence Dreier



Der Sommer ist (vermeintlich) bereits in vollem Gange (obwohl es als ich das schreibe gerade in Strömen regnet) und ich renne vom Keller hoch in meine Wohnung, von Zimmer zu Zimmer und von Termin zu Termin. Warum? Ich ziehe um. In zwei Wochen muss ich aus meiner wunderschönen Wohnung im St.Johann ausziehen und somit endet die Zeit der ersten eigenen Wohnung. Am liebsten würde ich diese Wohnung einfach behalten. Jedoch habe ich weder das Geld dazu, noch irgend eine Aussicht in Basel zu bleiben, denn mein Arbeitsvertrag läuft nächsten Monat aus. Meine Zeit hier in Basel neigt sich dem Ende zu. Wohin es genau geht, weiss ich jedoch noch nicht, denn der Umzug ist nicht das Einzige, was meine Zeit in Anspruch nimmt. Ich weiss nämlich noch nicht, wo ich hinziehe und das herauszufinden, nimmt die andere Hälfte meiner gesamten Zeit ein.


Momentan befinde ich mich in einer tagtäglich wechselnden Mischung aus Online- Aufnahmeprüfungen über dubiose Web-Konferenz-Dienste in meinem halb leeren Wohnzimmer, Prüfungs-Reisen nach Deutschland und einem Meer aus Umzugskisten und der Frage, welche meiner Möbel ich über den Facebook-Flohmarkt verkaufe und welche ich bei meiner Grossmutter für die nächsten drei bis vier Jahre einlagern kann. Nun habe ich diese Woche endlich angefangen, mein Hab und Gut durchzugehen, auszusortieren und in Kisten zu verpacken. Und während ich da so auf dem Boden in meinem Wohnzimmer sitze und meine Bücher durchgehe, obwohl ich eigentlich dringend an einem Projekt arbeiten sollte, dessen Abgabetermin immer näher rückt, bemerke ich, dass ich verdammt gestresst bin. Ich war die letzten Monate so entspannt, dass ich ganz vergessen hatte, wie sich das anfühlt. Ich muss sagen: Ich habe es definitiv nicht vermisst und irgendwie ersehne ich mir die Ruhe der Lockdown-Zeit, an welche ich mich mühsamst gewöhnt hatte, zurück.


Ist es schlimm das zu sagen? Darf ich mir eine Gesellschaft in Isolation zurückwünschen?

Versteht mich nicht falsch. Natürlich vermisse ich nicht ein Virus, an welchem tausende Menschen gestorben sind. Auch bin ich froh, dass man sich wieder mit Freunden in eine Bar oder ein Cafe setzen darf und Geburtstage mit mehr als fünf Personen feiern kann. Aber ich vermisse die Zeit ein bisschen, in der die Welt still stand und ich endlich mal nichts tun musste, weil es nichts zu tun gab und man nichts tun durfte. Endlich hatte ich Zeit, den Stress abzubauen, der sich die letzten Jahre in mir aufgestaut hatte.


Dieser Stress ist jetzt wieder doppelt und dreifach zurück und ich fühle mich wie ein Esel, der versucht, einbeinig auf einem Ball zu balancieren und gleichzeitig einen Karottenkuchen, ein Messer und eine Kettensäge zu jonglieren.


Ich bin nicht allein damit. Viele scheinen mit der “back to normal” Situation ein bisschen überfordert zu sein und alle haben ihre eigene Weisen damit umzugehen. Manche stürzen sich zurück in die Arbeit, andere schmeissen Parties und gehen jeden Abend trinken und wiederum andere meditieren.

Ich habe mir meinen eigenen Coping-Mechanismus zugetan, der wider den Vermutungen einiger nichts mit Alkohol oder Rauchen zu tun hat: Ich schreie mir den Stress und den Frust aus der Seele.

An dieser Stelle möchte ich mich kurz bei meinen Nachbarn entschuldigen – bald seid ihr mich los. Bis dahin wird es jedoch noch so manche Schrei-Momente bei mir geben. Aber es hilft, kann ich wirklich jedem empfehlen: In den Momenten, in denen alles zu viel wird, einfach mal alles rausschreien und alles rauslassen, was da in einem los ist.

Und der immer wieder nötige Reminder: Der Stress geht vorbei.


Wir befinden uns in komplizierten Zeiten. Gerade werden die Infektionszahlen einer Pandemie stabiler und schon kommt die nächste Welle von Ereignissen auf uns zu. 2020 ist gerade mal in der Hälfte und es ist bereits mehr passiert, als ich jemals erwartet hätte. Und es wird noch vieles dazukommen. Auch wenn die ruhige Lockdown-Atmosphäre mir gut getan hat, bin ich froh, dass die Welt wieder angefangen hat sich zu drehen und dass jetzt politische und soziale Bewegungen endlich wieder die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient haben und Menschen für ihre und die Rechte anderer auf die Strasse gehen. #istandwithyou

Trotzdem: Passt auf euch auf, schützt euch auf den Demos, supportet euch gegenseitig und nehmt euch ab und zu einen Moment, um einfach mal laut rauszuschreien.

Und auch wenn das Trinken keine Problemlösung ist, man darf sich immer noch ab und zu einen Drink in einer Bar gönnen – besonders jetzt wo “support your Locals” wichtiger ist denn jeh.


In diesem Sinne

Cheers


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